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Laßt nicht zu, daß so etwas nochmal passiert!
von Ute Zoller
Denkwürdig und ergreifend war
der Morgen des 21.09. für die Abschlussklassen der Realschule
Iffezheim, denn sie verbrachten ihn mit dem Zeitzeugen
Otto Schwerdt. Er vermittelte ihnen einen unmittelbaren
Eindruck davon, was es bedeutete, während der Zeit der
Diktatur der Nationalsozialisten als Mensch jüdischen
Glaubens in Deutschland und später in den besetzten
Gebieten Europas gelebt zu haben, verachtet und verfolgt
zu werden. Fast seine ganze Familie wurde von den Nazis
in den Vernichtungslagern ermordet und er selbst überlebte
nur durch eine Reihe von Zufällen und glücklichen Fügungen.

Nach einer kurzen biografischen
Einführung erläuterte Herr Schwerdt, wie seine Familie
1936 von Braunschweig nach Polen floh, nur um dort nach
dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht mit Kriegsbeginn
1939 erneut Schikanen ausgesetzt zu sein.
Nun folgte seine Lesung aus dem
Buch, das 1998 erstmals erschien. Lange, so erzählte
er später seinem jugendlichen Publikum, war er nicht
imstande gewesen, auch nur seinen Kindern von dem Entsetzen
zu erzählen, das er erlebt und erlitten hatte, als er,
1923 geboren, in genau dem Alter war, das heute die
meisten seiner Zuhörer haben.
Beginnend mit der Auflösung des
Gettos Srodula, dem letzten der polnischen Gettos, in
dem die Familie Schwerdt leben musste, leitete er über
nach Auschwitz, berichtete über den unmenschlichen Transport,
die gnadenlose Selektion an der Rampe, wo ungerührte
Ärzte in Sekundenbruchteilen über „Leben“, also Arbeit
bis zum Tod, oder sofortige Ermordung in einer der Gaskammern
entschieden. Eindringlich zeigte Otto Schwerdt die Phasen
der Entmenschlichung, zu der auch die Tätowierung mit
der Häftlingsnummer gehörte, die den Einzelnen jeder
Individualität beraubten. Episoden aus dem Lager Fünfteichen
führten dann zum Schlusskapitel, dem Todesmarsch in
das etwa 100 km entfernte KZ Groß-Rosen im Spätwinter
1945, als die deutsche Ostfront vollends zusammenbrach.
Otto Schwerdt kommentierte so
anschaulich, las so bewegend, zog seine Zuhörer so sehr
in den Bann seiner Geschichte, dass man buchstäblich
eine Stecknadel hätte fallen hören können. Alle Jugendlichen
begriffen den Wert des Vormittags: Es wird nicht mehr
lange möglich sein, Zeugen dieser entsetzlichen Zeit
zu hören und zu befragen.
Zahlreiche Fragen beantwortete
Herr Schwerdt im Anschluss ausführlich, unterstützt
durch Erinnerungen und Anekdoten, oft auch heute noch
von Schmerz und Trauer überwältigt. Umso erstaunlicher
war es für die Schülerinnen und Schüler zu erleben,
dass ihnen trotzdem ein humorvoller Mann gegenübersaß,
der weder verspätetes Mitleid noch verspätete Sühne
forderte, von Rache ganz zu schweigen. Worauf es ihm
ankommt, warum er mit seinen 82 Jahren noch immer die
Strapazen des Herumreisens an Schulen und Begegnungsstätten
auf sich nimmt: er hat ein Anliegen an die Jugend, denn
er appelliert an die Menschlichkeit, setzt sich ein
für Toleranz und Freiheit und gegen Fanatismus jeder
Art. „Lasst nicht zu, dass so etwas noch einmal passiert.“
Es gibt Begegnungen im Leben jedes
Menschen, die lange im Gedächtnis bleiben: Für die meisten
Schülerinnen und Schüler der zehnten Realschulklassen
in Iffezheim wird Herr Schwerdt und sein Vortrag dazugehören.
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